Gettysburg 1863: Die größte Schlacht des amerikanischen Kontinents - WELT (2024)

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Es begann mit einem Wettlauf nach Stiefeln. Eine Vorausdivision der Südstaatler hatte das Gerücht gehört, in dem Städtchen Gettysburg im südlichen Pennsylvania befände sich ein Lager mit Schuhwerk. Da es sich im Süden um eine begehrte Mangelware handelte, zögerte ihr Kommandeur nicht, sich dieses Schnäppchen zu holen. Ein Reitergeneral der Union entdeckte das Vorhaben und brachte umgehend seine Brigaden vor dem Ort in Stellung. So kam es, dass die größte und blutigste Schlacht, die je auf dem Boden Amerikas geschlagen wurde, sich aus einer zufälligen Begegnung entspann, die keiner der beteiligten Feldherrn vorhergesehen, geschweige denn geplant hatte.

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Gettysburg ist zum Synonym für die Kriegsanstrengungen der Konföderierten Staaten von Amerika geworden: Mit Kühnheit, Tapferkeit und Glück hatten sie Mal um Mal die zahlenmäßig und materiell drückend überlegenen Nordstaatler geschlagen. Längst galt ihr Oberbefehlshaber Robert E. Lee als bester Stratege des Krieges. Aber als es um die letzte, entscheidende Anstrengung ging, schwanden nach drei Tagen ungestümen Angriffs alle Hoffnungen des Südens an einer schlichten Mauer aus Steinen dahin. Nach der Schlacht von Gettysburg hatte der Süden keine Chance mehr, den Krieg militärisch zu gewinnen. Dass er ihn dennoch fast zwei Jahre lang weiterführte, sollte ihn über Generationen hinaus ruinieren.

Der Plan, mit dem Robert E. Lee den seit mehr als zwei Jahren tobenden Bürgerkrieg entscheiden wollte, war denkbar einfach. Mit 75.000 Mann wollte er in den Unionsstaat Pennsylvania einmarschieren und die Potomac-Armee der Nordstaaten hinter sich herziehen. Fern von ihren Basen wollte er sie zerschlagen und dem dann wehrlosen Washington den Frieden diktieren. Das Vorhaben wies nur einen Fehler auf: Es setzte alles auf eine Karte, einen Plan B besaß die Konföderation nicht.

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Denn zur gleichen Zeit belagerte 2000 Kilometer weiter westlich eine Unionsarmee unter Ulysses S. Grant Vicksburg am Mississippi, die einzige Bastion, die einige hundert Meilen des Flusslaufs und damit die Verbindungen zu den Konföderierten Staaten des Westens noch kontrollierte. Statt diese Festung zu entsetzen, wurden alle verfügbaren Truppen für die Invasion nach Norden bereit gestellt.

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Die Zeichen standen gut. Bereits Anfang Mai 1863 hatte Lees Nordvirginia-Armee der Army of the Potomac bei Chancellorsville ihre schwerste Niederlage beigefügt. Den Feldherr und seine Leute vereinte die Zuversicht, dass ihnen das auch diesmal gelingen würde. „Unter der Unbesiegbarkeitsgloriole nach Chancellorsville schien schlechterdings alles möglich“, urteilt James M. McPherson, einer der besten Kenner des US-Bürgerkrieges.

Der Nimbus von Lees Unbesiegbarkeit

Allerdings hatte sich seit Mai einiges verändert. US-Präsident Abraham Lincoln hatte den erfolglosen General Joseph Hooker durch George Gordon Meade ersetzt. Dieser wortkarge Berufsoffizier hatte umgehend sein Hauptquartier wieder in ein professionelles Institut verwandelt, indem er die Individuen entsorgte, die dem Namen seines Vorgänger einen interessanten Slangausdruck verdanken (hooker = Hure).

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Zweitens nahm die Moral der Nordstaaten-Soldaten in dem Maße zu, wie sie sich heimischer Erde näherten. Wie nur selten in diesem Krieg ging es nun um die Verteidigung des eigenen Landes. Und drittens hatte die Unions-Kavallerie mittlerweile derart zu den konföderierten Reitern aufgeschlossen, dass sie den Aufmarsch bereits im Ansatz erkannte. Zwar konnte Lees Reitergeneral James „Jeb“ Stuart das große Reitergefecht bei Brandy Station mit einem blauen Auge bestehen. Aber der Nimbus seiner Unbesiegbarkeit war dahin. Und der Norden wusste nun, wohin der Süden zog.

Stuart, der stets in einer Fantasieuniform mit Feder am Hut den Idealen seiner Jugend frönte, war indigniert, dass er umgehend mit mehreren Brigaden zu einem Raid in den Rücken des Gegners aufbrach. Das trug ihm zwar umfängliche Beute ein, beraubte Lee aber der Aufklärung, die er dringend benötigte.

Tatsächlich waren es ein paar Späher, die Ende Juni die konföderierte Führung warnten, dass ihr die Unionsarmee dicht auf den Fersen sei. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Gerücht, in Gettysburg gäbe es Schuhe zu holen, die Armeen bereits gegeneinander geführt. Am Morgen des 1. Juli marschierten die ersten Südstaaten-Regimenter auf die Stadt zu, wo sie von abgesessener Unions-Kavallerie mit Repetiergewehren empfangen wurden. Je erfolgreicher sich die Nordstaatler verteidigten, desto verbissener griffen die Südstaatler an.

Zur unsoldatischen Masse verkommen

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Wie von Magneten angezogen, strömten Truppen beider Seiten dem Gefechtslärm entgegen, wobei die Konföderierten vom Norden und die Föderierten vom Süden aus marschierten. Nur die Feldherrn waren noch nicht eingetroffen. Am Ende des Tages hatten die Rebellen die Unions-Truppen aus der Stadt hinausgejagt. Aber auf den Höhen östlich von Gettysburg war es Winfield Scott Hanco*ck gelungen, aus den zur „unsoldatischen Masse“ verkommenen Einheiten eine Abwehrfront zu bilden, hinter der sich immer neue Regimenter des Nordens sammelten.

Mit mehr als 85.000 Mann und 320 gegenüber 250 Geschützen war die Potomac-Armee dem Gegner deutlich überlegen. Dennoch war Lee überzeugt, dass seine Veteranen den Sieg davon tragen würden, wie sie es schon viele Male getan hatten. Allerdings hatte er mangels Kavallerie keine Vorstellung von der Aufstellung des Gegners. Als ein Untergebener Lee vorschlug, die Stellung der Union zu umgehen, um sie damit aufs offene Gelände zu locken, antwortete er: „Da steht der Feind, und da werde ich ihn angreifen.“

Da sein linker Flügel beim Sturm auf die Stadt erhebliche Verluste hatte hinnehmen müssen, betraute Lee den rechten Flügel unter General James Longstreet mit dem Angriff. Ziel waren zwei runde Hügel, von denen aus die Flanke der Union aufgerollt werden sollte. Bei extremer Sommerhitze entbrannten blutige Kämpfe im Pfirsichhain, im Weizenfeld, an der „Teufelsbude“ – Orte, die sich im kollektiven Gedächtnis Amerikas eingebrannt haben.

Zwei Einheiten der Union fanden dabei Einlass in die Liste der ewigen Helden der Nation. Das 20. Maine-Regiment verteidigte am Ende mit Bajonetten den Kleinen Runden Hügel gegen den Ansturm mehrerer Rebellen-Regimenter. Weiter nördlich stürmte das 1. Minnesota-Regiment gegen überlegene Südstaatentruppen an, um eine Lücke in der Front zu decken. Von 262 Männern kehrten nur 47 zurück. Dafür durfte das Regiment 1865 das Ehrengeleit bei Lincolns Begräbnis stellen, während Joshua Chamberlain, Oberst des 20. Maine, die Kapitulationsparade des Südens abnahm und anschließend viermal zum Gouverneur seines Heimatstaates gewählt wurde.

Der Angriff, der zum Trauma wurde

Zwar stieß am Abend des 2. Juli Stuarts Kavallerie wieder zum Hauptheer, aber substanzielle Informationen über die Lage des Nordens brachte er nicht mit. Lee, von Diarrhöe geplagt, glaubte, die Flügel des Gegners derart aufgerissen zu haben, dass Meade seine Reserven dort eingesetzt hatte. Also erhielt General George Pickett am nächsten Morgen den Befehl, mit 15.000 Mann gegen das Unions-Zentrum vorzugehen. Als „Pickett’s Charge“ wurde der Angriff zum Trauma des Südens.

Wie auf dem Exerzierfeld, die Offiziere in vorderster Linie, zogen die Südstaatler über das Feld zu den Hügeln hinauf, auf denen sich die Unionstruppen verschanzt hatten. Um sie in die Falle zu locken, stellte Meades Artillerie-Chef zum Schein das Feuer ein. Als Picketts Männer schließlich in Schussweite waren, begann die Apokalypse. Einige hundert Männer aus Virginia und Tennessee konnten im Sturm bis zu einem Steinwall vordringen, hinter dem sich starke Unions-Verbände verborgen hatten. Dort fiel ihr Kommandeur, die Hand auf einer Yankee-Kanone. Eine halbe Stunde später taumelten die Reste von Picketts Truppen auf ihre Ausgangsstellungen zurück.

Die Verluste übertrafen alles, was man bisher in diesem Krieg gesehen hatte. 23.000 zählte die Union, 28.000 der Süden, das waren ein Viertel bzw. ein Drittel der Gesamtstärke der Armeen. 6000 Soldaten waren gefallen, viele der 27.000 Verwundeten sollten die nächsten Tage nicht überleben, die übrigen waren gefangene genommen wordne oder desertiert.

Der ruhmreichste Nationalfeiertag

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Meade, der nicht glauben konnte, dass er den großen Lee geradezu vernichtend geschlagen hatte, verzichtete mit seinen müden Truppen auf eine Verfolgung. Tatsächlich hätte ein beherztes Nachsetzen wahrscheinlich den Krieg beendet. Denn nur einen Tag später erreichte Washington die Nachricht, dass Vicksburg am Mississippi kapituliert hatte. „Der Vater der Gewässer strömt wieder ungestört ins Meer“, proklamierte Lincoln.

So aber schleppte sich der Bürgerkrieg noch bis zum April 1865 hin und eskalierte zum ersten totalen Krieg des Maschinenzeitalters. Das Gros der 660.000 Amerikaner, die in diesem Krieg ihr Leben ließen, taten es nach Gettysburg. Lincoln erklärte den 4. Juli 1863 zum ruhmreichsten Nationalfeiertag Amerikas. Aber das reichte nicht aus, um die Konföderierten zur Einsicht in ihre Niederlage zu bewegen. Im Gegenteil.

Man hat für den Wahn, den Krieg nach den beiden vernichtenden Niederlagen weiterzuführen, den Begriff des „katastrophischen Nationalismus“ (Michael Geyer) geprägt. Der Wille, lieber zu sterben als klein beizugeben, führte konsequenterweise in die totale Niederlage.

Ein lehrreiches Beispiel bot Gettysburg übrigens nicht. Zumindest nicht in Deutschland. Sowohl 1916 als auch 1943 reichten die vernichtenden Niederlagen der deutschen Armeen nicht aus, um Wege zum Frieden zu finden.

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